Die meisten Menschen tun sich schwer mit Konflikten und Auseinandersetzungen. Wir meiden sie aus ganz unterschiedlichen Gründen und streben nach Harmonie und einem guten Miteinander. Die Angst abgelehnt, ausgegrenzt und nicht mehr geliebt zu werden, wenn wir Kritik äußern, lassen uns stumm werden. Was aber nicht heißt, dass wir den Konflikt und die verletzten Gefühle dann loslassen. Ressentiments, stille Erwartungen, Unzufriedenheit, Rechthaberei, Schuldzuweisungen, Rachegedanken oder Rückzug belasten die Beziehungen und führen zu Distanz in der Verbindung.
Häufig geht es um die Frage, wer gewinnt und wer verliert. Wir erwarten, dass der andere einsieht, dass er*sie im Unrecht ist und sich so verhält, dass wir uns wieder gut fühlen. Wir vergessen leicht, dass wir selbst für unsere Gefühle verantwortlich sind. Das sind oft alte Muster, die wir vor vielen Jahren gelernt haben und die uns nun vom anderen trennen.
Nähe, Verbindung, Wertschätzung, emotionale Tiefe stellen wir her, wenn wir akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich sind und wir an unseren Grenzen um einvernehmliche Lösungen ringen können. Streiten verbindet. Respektvoll ausgetragene Konflikte festigen Beziehungen und schaffen mehr Nähe und stärken unsere Selbstwirksamkeit. Dies bedeutet über den eigenen Tellerrand zu schauen, die Komfortzone zu verlassen sowie offen zu sein für neue Lernfelder und persönliche Entwicklung.
In diesem Blogbeitrag schreibe ich darüber, warum es uns das Kritisieren schwerfällt, ordne den Begriff ein und mache einen Unterschied zwischen konstruktiver und wertschätzender Kritik. Außerdem nenne ich Gründe, warum sich die Stärkung unserer Konfliktkompetenz lohnt.
Was bedeutet Kritik – eine begriffliche Einordnung
Kritik bewertet, schätzt ein, beurteilt eine Person, ein Ereignis, ein Werk oder einer Situation. Es ist eine analytische Betrachtung, die sowohl positive als auch negative Aspekte anspricht. Kritik zeigt Stärken und Schwächen sowie Verbesserungspotenzial auf, gibt Einschätzungen, macht konstruktive Vorschläge und bietet alternative Lösungen. Eine Kritik äußert ebenso eine reflektierte Meinung und tritt in verschiedenen Kontexten auf, in der Kunst, Literatur, Politik, in zwischenmenschlichen Beziehungen und anderen Lebensbereichen.
Zwischenmenschlich bedeutet Kritik, das Verhalten, die Handlungen und Meinungen anderer zu bewerten und zu beurteilen. Grundlage dafür ist unser Wertesystem, eng verbunden mit unseren individuellen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Überzeugungen. Dies kann sowohl bewusst als auch unbewusst geschehen. Nach meiner Sichtweise gibt es allerdings einen Unterschied zwischen einem Werturteil und einem moralischen Urteil. Beide Aspekte geben uns allerdings einen wichtigen Hinweis auf das, was uns wertvoll ist sowie auf unsere Bedürfnisse und Gefühle.
Kritik kann starke emotionale Reaktionen hervorrufen, da sie oft mit dem Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz und dem Selbstwertgefühl verknüpft ist. Die Art und Weise, wie Kritik geäußert wird, sowie ihre Wirkung auf das Wohlbefinden sind individuell sehr unterschiedlich. Was für den einen zu einem Beziehungsabbruch gleich kommt, ist für den anderen nicht viel mehr als eine sachliche Information.
Kritik kann positiv oder negativ gemeint sein. Ich beschreibe positive Kritik als Form der Anerkennung – ein Instrument für wertschätzende Kommunikation. In diesem Beitrag geht es allerdings darum, etwas zu kritisieren, was mir nicht gefällt, was mich stört, beeinträchtigt oder meine Werte verletzt.
Die Begriffe Kritik und Feedback werden manchmal synonym verwandt, unterscheiden sich allerdings in ihrer Absicht. Während Kritik bewertet, beurteilt, einschätzt und Menschen auf ihre Fehler hinweist und eine Verhaltensänderung wünscht, stärkt Feedback mehr die Selbstreflexion und führt m. E. zu mehr Nachhaltigkeit in der persönlichen Entwicklung.
Was hindert uns daran, wertschätzende Kritik zu äußern
Menschen finden Konflikte und Auseinandersetzungen häufig unangenehm. Sie weichen aus, gehen aus dem Kontakt, werden still, kompensieren, haben Rachegedanken, machen ihrerseits Vorwürfe. Die Gründe sind sehr vielfältig.
Konflikte können starke emotionale Reaktionen hervorrufen. Wir haben Angst, die Kontrolle zu verlieren, abgelehnt, verletzt oder ausgegrenzt zu werden. Und wir befürchten, unsere Gefühle nicht regulieren zu können, ausfällig, unangemessen, überzogen zu reagieren.
Konflikte können uns verunsichern, unser emotionales Gleichgewicht ins Wanken bringen. Wir versuchen durch Vermeidung Stabilität im Leben aufrechtzuerhalten. Insbesondere für Menschen mit Traumata, emotionalen Schmerz und negative Erfahrungen sind Vermeidung manchmal überlebenswichtig.
Manche Menschen haben nicht genug Energie oder Ressourcen, um Konflikte zu bewältigen und weichen aus, weil sie sich auf sehr wesentliche Dinge im Alltag und in ihrem Leben konzentrieren müssen, beispielsweise Mütter, die überlastet sind von der Care-Arbeit oder Gewalterfahrungen in Beziehungen aushalten, sich um kleine Kinder sorgen.
Gründe und Intensität der Reaktion sind individuell sehr verschieden und hängen von Prägungen, Erfahrungen, Persönlichkeitsmerkmalen sowie Umständen ab.
Konstruktive Kritik versus wertschätzende Kritik – der feine Unterschied
Vordergründig lässt sich sagen, beide Ansätze eigenen sich, um Bedenken zu äußern, mit dem Ziel der Veränderung. Beide Ansätze wollen das Beste aus der Situation herausholen. Allerdings gibt es einen beachtenswerten Unterschied. Im Schwerpunkte wird einmal stärker die kommunikativ-sachliche Ebene und einmal die emotionale Beziehungsebene betont.
Konstruktive Kritik möchte Probleme aufzeigen und gleichzeitig Lösungen anbieten. Das Ziel ist es, etwas besser zu machen, Potenziale für Wachstum und Entwicklung auszuschöpfen, ohne dabei Tun und Wirken des anderen abzuwerten. In manchen Situationen oder bei bestimmten Menschen kann diese Art von Kritik sachlich und distanziert wirken.
Wertschätzende Kritik betont den Beziehungsaspekt, berücksichtigt Respekt, Empathie und die emotionale Ebene. Sich in den anderen hineinfühlen, neugierig und offen sein für die Sichtweise und Andersartigkeit meines Gegenübers. Dem anderen den Freiraum zu lassen, dass er so sein kann, wie er ist und damit gleichwertig mit dem anderen bleibt. Stärken in den Blick nehmen, die positiven Aspekte benennen, Anerkennung üben. Wertschätzende Kritik berücksichtigt die Gefühle und das emotionale Befinden des*der Empfänger*in. Das schafft eine Atmosphäre von Vertrauen, Nähe und Offenheit, um der Kritik für die eigene Entwicklung eine tiefere Bedeutung zu geben.
Warum es sich lohnt, deine Konfliktkompetenz zu stärken
Konflikte gehören zum Leben und zum Menschsein dazu und wir können lernen, Kritik wertschätzend anzusprechen. Insgesamt ist die Fähigkeit, Konflikte und Kritik anzugehen, wichtig für unser persönliches Wachstum, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und eine kooperative Zusammenarbeit.
Konfliktfähigkeit hat positive Wirkung auf alle Lebensbereiche
Persönliche Entwicklung: Wir lernen uns besser kennen, sind besser in der Lage, unsere Grenzen zu definieren und verbessern unsere Kommunikationsfähigkeiten. Damit übernehmen wir Verantwortung für uns und stärken unsere Selbstwirksamkeit.
Beziehungsqualität: Konflikte können Beziehungen vertiefen, wenn sie auf eine wertschätzende Weise gelöst werden. Offene Kommunikation über Bedenken kann das Verständnis füreinander fördern und Vertrauen stärken. Kritikfähigkeit führt insgesamt zu mehr Akzeptanz, Nähe und Verbindung.
Förderung der eigenen Interessen: Indem wir uns den Konflikten stellen, lernen wir, unsere Bedürfnisse und Erwartungen klarer zu kommunizieren. Dadurch gelingt es uns mehr und mehr, die eigenen Interessen zu berücksichtigen. Wir fühlen uns in verschiedenen Situationen besser vertreten.
Motivation für Wandel: Konflikte und kritische Auseinandersetzungen sind oft der Antrieb für positive Veränderungen in Gesellschaften, Organisationen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie können dazu führen, dass Probleme erkannt und gelöst werden.
Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl: Das Einüben und Entwickeln von Konfliktkompetenz kann das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl stärken. Wir erfahren, dass wir Bedeutung haben und als Mensch wertvoll sind. Wenn wir Konflikte einvernehmlich lösen, bestätigen wir uns, dass es wichtig ist, für unsere Bedürfnisse und Interessen einzustehen.
Bessere Kommunikation: Die Fähigkeit, Kritik wertschätzend anzusprechen, verbessert unsere allgemeinen Kommunikationsfähigkeiten. Wir lernen, klarer und respektvoller zu sprechen und empathischer zuzuhören sowie auf Situationen angemessen zu reagieren, was beruflich und privat sehr hilfreich ist.
Stressreduktion: Wenn wir Konflikte offen und wertschätzend ansprechen können, reduzieren wir die Anspannung und den Stress, die mit unausgesprochenen Bedenken einhergehen. Dies führt zu einem besseren emotionalen Wohlbefinden. Wir machen neue, positive Erfahrungen, was für die Regulierung des Nervensystems sehr wichtig ist.
0 Kommentare
Trackbacks/Pingbacks