Wenn wir wertschätzend und konstruktiv mit anderen Menschen kommunizieren möchten, hören wir oft: „Du sollst nicht bewerten!“ – Aber stimmt das eigentlich? Wir bemühen uns formelhaft unsere Wahrnehmung zu spiegeln, die eigenen Gefühle auszudrücken und Wünsche zu äußern. Alles, damit wir unser Gegenüber nicht verletzen, das Miteinander harmonisch bleibt und wir den Konflikt nicht verschärfen. Denn Menschen, die sich bewertet fühlen, gehen leicht in den Rückzug, verteidigen sich oder greifen selbst an, um ihren Selbstwert zu retten. Aber bewerten wir deshalb nicht? Doch, weil wir immer bewerten und das müssen wir auch.
Das Problem liegt nicht in unserer Sprache, sondern in unserer Haltung. Die vermeidlich konstruktive Kritik können wir aus dem Selbstverständnis heraus formulieren, dass wir im Recht sind oder eine empathische Perspektive einnehmen.
In diesem Blogbeitrag schreibe ich darüber, warum Bewertungen eine wichtige Rolle in unserem Leben spielen und bedeutsam sind für unsere persönliche Entwicklung. Auf der anderen Seite benötigen wir einen ausgewogenen und reflektierten Umgang mit Bewertungen. Ich zeige dir ebenso, warum eine empathische Grundhaltung dir hilft, Vorurteile und moralische Urteile zu vermeiden.
Was sind Werte und warum sind sie wichtig?
Werte sind grundlegende Überzeugungen, die unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unsere Haltungen beeinflussen. Sie repräsentieren das, was für uns persönlich oder gesellschaftlich wichtig und wünschenswert ist. Werte sind in der Regel tief verwurzelt und beeinflussen, wie wir die Welt sehen und wie wir uns in ihr verhalten.
Insgesamt sind Werte wichtig für unsere persönliche Entwicklung, für zwischenmenschliche Beziehungen, für das Funktionieren von Gemeinschaften und für die Gestaltung von Kultur und Gesellschaft. Sie bilden das ethische Fundament, das unser Verhalten lenkt und unsere Lebensqualität beeinflusst.
Manche Werte sind in unserem Leben recht stabil, andere können sich je nach Lebensphase ändern. Was uns in jungen Jahren wertvoll war, ist in der Familienphase oder im Rentenalter nicht mehr so wichtig. Wenn wir im Einklang mit unseren Werten leben, fühlen wir uns zufrieden. Sind unsere Werte nicht erfüllt oder werden sie verletzt, reagieren wir verärgert, gekränkt, traurig.
Du fragst dich, was der Unterschied zwischen Werten und Bedürfnissen sind. In diesem Blogbeitrag schreibe ich darüber.
Warum es wichtig ist, die eigenen Bewertungen zu reflektieren?
Wir fühlen uns mit Menschen stärker verbunden, wenn sie die gleichen Werte leben und es fühlt sich oft fremd an, wenn ihnen andere Werte wichtig sind.
Werte und die Bewertung unseres Erlebens sind damit wichtige Wegweiser für unsere persönliche Entwicklung. Mit der Reflexion unserer Bewertungen verändern wir die Kommunikation mit uns selbst und ebenso mit anderen Menschen. Wie, das liest du hier:
- Stärkung unsere Authentizität: Wir entwickeln ein tieferes Verständnis unserer eigenen Überzeugungen, Einstellungen, Gedanken, Meinungen, Werte.
- Bewusstwerdung von Grenzen: Weil wir wissen, was wir wollen und brauchen und was uns nicht gefällt, werden wir sensibler für die eigenen Grenzen und die der anderen. Wir werden selbstbewusster, diese Grenzen zu äußern und lernen gleichzeitig, die Grenzen von anderen zu akzeptieren.
- Klärung die eigenen Standpunkte: Eine klare Selbsteinschätzung hilft uns, die eigene Position deutlich und überzeugender zu vertreten.
- Vermeidung von Konflikten: Wir erkennen frühzeitig mögliche Vorurteile sowie unklare Überzeugungen und sind in der Lage, dem Konflikt proaktiv entgegenzuwirken.
- Versöhnung mit den Bewertungen anderer: Wir können Bewertungen anderer schneller in Gefühle und Bedürfnisse übersetzen, was die eigene emotionale Aktivierung mildert.
- Entwicklung von Einfühlung: Wir lernen unsere Gefühle und Emotionen besser kennen, verstehen unsere eigenen Reaktionen und entwickeln so mehr emotionales Verständnis auch für andere.
- Bessere Stressbewältigung: Das Selbstverständnis, dass Bewertungen in Ordnung sind, nimmt den eigenen Druck raus und hilft, in Konfliktsituationen ruhig und konstruktiv zu bleiben.
- Verbesserung unserer Kommunikationsfähigkeit: Weil wir wissen, was wir fühlen und brauchen, lernen wir besser für uns einzustehen, unsere Positionen zu vertreten und unseren Platz in der Welt zu behaupten.
Deshalb ist die Frage nicht, wie wir Bewertungen aus wertschätzender Kommunikation fernhalten, sondern mit welcher Haltung wir unsere Werte vertreten und anderen Menschen ihre eigenen Werte zugestehen. Was uns dabei hilft, ist eine empathische Haltung.
Wie du deinen Werten auf die Spur kommst und warum ein innerer Wertekonflikt dein Wegweiser zu mehr Integrität ist, liest du in diesem Blogbeitrag.
Warum Empathie zu einer wertschätzenden Kommunikation führt
Die Entwicklung einer empathischen Haltung erfordert Präsenz, Übung und die Bereitschaft, sich in die Perspektive anderer Menschen zu versetzen. Es ist ein stetiger Prozess, indem wir uns immer wieder auf die Perspektive und Gefühle anderer Menschen einlassen. Je größer diese Andersartigkeit, die Fremdheit des anderen ist, desto schwerer fällt es uns. Und je besser uns das gelingt, desto tiefer, wahrhaftiger und verlässlicher sind die zwischenmenschlichen Verbindungen.
Hier sind einige Aspekte, die dir helfen, Empathie zu entwickeln.
Selbstempathie deckt die eigenen Bewertungen auf
Wesentliche Voraussetzung für das Einfühlen in andere Menschen und in ihre Sicht auf die Welt ist die Selbstempathie. Erst wenn ich selbst mit mir in einer akzeptierenden und wertschätzenden Verbindung stehe, kann ich mein Gegenüber nachvollziehen. Insbesondere in schwierigen Zeiten und Situationen ist es wichtig, sich selbst mit Freundlichkeit und Güte zu begegnen.
Es geht darum, Signale im Körper wahrzunehmen, Gefühle zu identifizieren und eigene Bewertungen, Schuldzuweisungen, Vorwürfe oder Urteile anzuerkennen. Erst die Zuwendung zur eigenen Befindlichkeit schafft Raum, um Werte und Bedürfnisse zu erkennen und zu ihnen zu stehen.
Zuhören schafft die emotionale Basis
Die ständige Verfügbarkeit von Ablenkung, die kaum zu bewältigende Flut an Informationen, das Gefühl immer weniger Zeit zu haben sorgen dafür, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne abnimmt. Wir sind immer weniger in der Lage wirklich präsent zu sein, uns auf etwas zu konzentrieren und uns selbst oder dem anderen zuzuhören. Hinzu kommt, dass Selbstdarstellung in den sozialen Medien stetig zunimmt. Ich präsentiere mich selbst mit meinen Gedanken und Gefühlen, statt bewusst zu hören, was andere Menschen zu sagen haben.
Den Verstand leer machen und mit offenem Herzen zuhören, das ist Grundlage jeder Kommunikation. Das ist aktives und einfühlsames Zuhören. Ich höre neugierig zu, lass mich überraschen von dem, was der andere mir mitteilt, bin ganz präsent in diesem Moment. So entsteht nicht nur rationales Verständnis auf der Sachebene, sondern vor allem Einfühlung auf der emotionalen Ebene. Ich öffne mich für die Sichtweise des anderen, schaffe Raum für Austausch und ebne den Weg für Einvernehmen.
Die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln, erweitert den eigenen Horizont
Um den anderen besser zu verstehen und seine Sicht auf die Welt nachzuvollziehen, ist es wichtig, sich immer wieder fremden, ungewohnten und neuen Sichtweisen zu stellen. Anderen Meinungen zuhören, auf fremde Kulturen zugehen, ungewöhnliche Perspektiven erkunden oder mit anders Denkenden diskutieren. All das kann helfen, den eigenen Horizont zu erweitern. Wichtigstes Instrument ist dabei eine offene Haltung und das empathische Zuhören. Ich bin präsent, spiegele, was ich verstehe, stelle Fragen und versuche, die Gefühle und Bedürfnisse dahinter zu erkunden.
Empathisches Zuhören ist dabei keine Einbahnstraße oder ein Freifahrtschein für Zustimmung. Nachdem wir ausführlich dem anderen Raum geschenkt haben, dieser sich gesehen und verstanden fühlt, äußern wir unsere Ansicht. „Magst du hören, wie ich dazu stehe?“
Offene Körpersprache beruhigt die Stimmung
Es ist wichtig, nicht nur mit dem Verstand dabei zu sein, sondern mit dem ganzen Körper. Allein den anderen anzuschauen, ist für manche Menschen keine Selbstverständlichkeit. Häufig sind wir nebenher noch mit etwas anderen Dingen beschäftigt. Manchmal versuchen wir virtuell oder am Telefon Störungen oder Konflikte zu klären. Allerdings ist dabei der größte Teil der Information gar nicht vorhanden. Gestik, Mimik, Körpersignale sind entwicklungsgeschichtlich viel älter und wiegen mehr als Sprache und Worte. Am Ende werden Missverständnisse nicht vollständig ausgeräumt.
Augenkontakt, zugewandte und entspannte Körperhaltung, den anderen als Ganzes (im gleichen Raum) wahrnehmen, das kann beruhigend wirken auf die Stimmung.
Echtes Interesse schafft tieferes Verständnis
Ich bin bereit, mehr über den anderen zu erfahren, über seine Sichtweise, Gedanken, Gefühle. Es sind die offenen Fragen, die zu ausführlichen Antworten führen. Dabei geht es nicht darum, die eigene Neugierde zu befriedigen oder den anderen auszufragen, sondern einzig um Verstehen und Verständigung.
Welche Fragen das sein können:
- Allgemeine Fragen: „Kannst du mir mehr darüber erzählen?“, oder „Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf?“
- Fragen, um die Sichtweise des anderen zu verstehen: „Was bedeutet dies für dich persönlich?“, oder „Wie siehst du die Situation“.
- Fragen, um zu vertiefen und zu klären: „Könntest du das konkreter erklären?“.
- Fragen nach Gefühlen: „Was empfindest du, wenn du an diese Situation denkst?“.
- Fragen nach Bedürfnissen: „Was hättest du stattdessen gebraucht?“, „Wie würdest du es dir wünschen?“
- Fragen nach Lösungsideen: „Hast du eine Idee, wie wir damit umgehen können?“
Selbstreflexion statt Selbstvorwürfe
Du nimmst dir Zeit, Situationen, Muster und Verhaltensweisen zu reflektieren. Dabei übernimmst du Verantwortung für dein Handeln, deine Gefühle und Bedürfnisse, ohne dich mit Schuldzuweisungen zu belasten, dich selbst abzuwerten oder dich zu bestrafen. Du stellst dich deinen Emotionen und erkennst, dass sie aus der Vergangenheit stammen und ausschließlich mit dir zu tun haben. Das Verhalten des anderen ist dabei lediglich Auslöser, nicht aber Ursache für deine Gefühle.
Die innere Auseinandersetzung mit dir hilft dir dabei, dich zu lieben und zu akzeptieren, wie du bist und aus deinem Unvermögen und deinen Fehlern zu lernen. Basis für deine Selbstreflexion ist die Fähigkeit, dich selbst zu beruhigen und eine Pause zu machen, zwischen dem Reiz und deiner Reaktion.
Fazit: Nutze Bewertungen zur Selbstreflexion und stärke deine Empathiefähigkeit
Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die hellhörig werden oder empfindlich reagieren, wenn sie eine Bewertung hören. Sätze wie: „Das ist falsch!“ – „Das ist unprofessionell“ – „Das würde ich nie tun” – „Das kann ich überhaupt nicht leiden“ „Ich habe recht mit meiner Meinung“ lassen dich in den Widerstand gehen. Du ziehst dich innerlich zurück, rechtfertigst dich oder startest einen Gegenangriff. Das führt dann häufig zu diesem trennenden Hin und Her von Ansichten. Am Ende fühlen sich beide nicht verstanden und zudem unverbunden.
Wertfrei und eigenverantwortlich
Die Fähigkeit der Andersartigkeit vorurteilsfrei zu begegnen ist sehr wertvoll. Wir selbst öffnen uns für neue Erfahrungen und gewinnen so einen Einblick in die Sicht des anderen. Darüber hinaus weiten wir den Blick für das größere Ganze. Wenn wir versuchen, nicht zu werten, hilft es uns auch im Umgang mit den eigenen Gefühlen. Wir erkennen schneller unsere Interpretationen der Situation und die dahinterliegende Verantwortung für unsere Gefühle. Nicht die Person mit ihrem Verhalten ist verantwortlich für das, was ich fühle, sondern ist nur der Auslöser.
Bewertungen und Verletzlichkeit
Auf der anderen Seite ist es wichtig zu bewerten, um mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Bewertungen und unsere Interpretationen machen uns mithilfe der Gefühle aufmerksam, für das, was wir brauchen. Erst wenn wir unsere Werte, Positionen und Standpunkte austauschen, unsere Grenzen erkennen, sind wir bereit, um einvernehmliche Lösungen zu ringen. Erst, wenn wir uns an meiner und deiner Grenze gegenüberstehen, offen, ehrlich und verletzlich, erzeugen wir die Energie und die Kraft der Gefühle von nahbarer Lebendigkeit im Miteinander.
Wie ich in diesem Blogbeitrag beschreibe, gibt es wichtige Aspekte, warum es sich lohnt, deine eigenen Bewertungen kennen und akzeptieren zu lernen und daran zu wachsen. Die Verantwortung dafür liegt bei dir selbst. Denn, ob der andere sich verändert, hast du nicht in der Hand. Wohl aber, deine eigenen neuen Erfahrungen zu machen, alte Muster aufzudecken und zu ändern.
Im ersten Schritt ist es also wichtig, deine eigenen Bewertungen zu nutzen, um deinen Bedürfnissen, Gefühlen und Grenzen auf die Spur zu kommen. Des Weiteren hole das Fremde, die Andersartigkeit in dein Leben, weite deinen Horizont und bleibe dabei neugierig und offen. Gehe noch einen Schritt weiter und schule kontinuierlich dein Einfühlungsvermögen, um auch Bewertungen anderer Menschen als das anzuerkennen, was sie sind: Wichtige Hinweise auf das, was ihnen wichtig, wertvoll, am Herzen liegt und was sie fühlen und brauchen, um sich gesehen, geschätzt und sicher zu fühlen.
Es kommt also nicht darauf an, dass dir innerhalb der Kommunikation mit anderen, eine Bewertung über die Lippen kommt, sondern auf eine empathische Grundhaltung. Auf diese Weise gelingt es dir, wertschätzend Kritik zu äußern.
Willst du Lebendigkeit, Tiefe und Qualität in deine Beziehungen bringen, dann gehe beherzt und mutig in den Austausch über deine Werte und öffne dich ebenso für die Werte deines Gegenübers.
Liebe Michaela,
meine ersten Gedanken zu deiner Headline:
Kein Tag, keine Situation vergeht ohne Wertung, ob ausgesprochen oder nur empfunden. Ich erlebe mein Sein als Aneinanderreihung von Eindrücken, die natürlich bewertet und eingeordnet werden. Bewusst oder unbewusst, das steht zunächst hintenan.
Davon ausgehend treffen wir unsere Wahl, entscheiden.
Im eigenen Kosmos trifft das niemanden direkt, erst wenn wir in den Austausch gehen.
Wie dies empathisch und ohne destruktive Kritik gelingen kann, ist wirklich ein wichtiges Thema.
Mit deinem Blogartikel nimmst du mich mit und ja: die Haltung ists, die letzten Endes den wertschätzenden Austausch ermöglicht. Möchte ich eine Diskussion und toleriere ich andere Meinungen oder will ich mich einfach nur durchsetzen?
Die Fähigkeit der Empathie kann gelernt werden, der Schlüssel dazu ist zuhören, nachdenken, nachfragen bis hin zur eigenen Selbstreflexion.
Danke, dass du dieses Thema aufgreifst und so gut verständlich aufgearbeitet hast.
Gruß Gabi
Danke, liebe Gabi für dein Feedback und Gedanken zum Thema. Es hört sich oft so einfach an: Es kommt auf die Haltung an. Und doch ist es schwer aus den eigenen Verhaftungen herauszutreten, sich der eigenen Werte bewusst zu sein und mich dennoch für diese Andersartigkeit des anderen zu öffnen, als etwas, das hinzukommen darf zu meiner Sicht. Ein stetiger Prozess des Lernens.