Größer, schneller, höher – Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn!

23 Feb 2022 | Persönliches über mich

Ein Montag in meinem Arbeitsalltag. Ich liebe Montage. Ich bin ausgeruht und voller Energie und habe den Ehrgeiz, möglichst viele der Wochenaufgaben schon zu erledigen. Frohen Mutes starte ich in den Tag. Etwas später bemerke ich, dass meine Timeline überquillt.

„Stelle dich vor, schaue dir das neueste Video an, komm ins Tun, lade dir meinen Bonus herunter, höre meine Audio-Meditation, werde Mitglied in der Facebook-Gruppe, lies meine ultimativen Tipps in meinem Workbook und beantworte diese vertiefenden Fragen, nimmt teil an meinem großartigen Gewinnspiel.“

Je mehr ich lese, desto mehr bin ich genervt von diesen schreienden Aufrufen. Ich bin so im Widerstand, dass ich gar nicht präsent bin. Ich kann mich kaum konzentrieren, geschweige denn wertvolle Impulse von nervigen Verkaufsstrategien unterscheiden.

Größer, schneller, weiter – ich bin total genervt von diesem Selbstoptimierungswahn, den ich derzeit wahrnehme.

Du bist nur erfolgreich, wenn du XY tust?!

Du bist nur wirklich erfolgreich in deinem Job, wenn du morgens um 4 Uhr aufstehst, deine 6 Kilometer in der eisigen Winterluft läufst, dann unbedingt kalt duschst und im Anschluss einen Smoothie trinkst (übrigens ein ideales Motiv für einen Post auf Instagram), statt Toast, Ei und Marmelade (auch wenn dir das eigentlich besser schmeckt, als dieses grüne Etwas im Glas). Schnell noch die Timeline deiner sozialen Kanäle checken und erste Mails beantworten (kann ruhig jeder wissen, dass du schon um 6 Uhr arbeitest)

Für Spirituelle klingt das so: Um deinen Stoffwechsel anzuregen und wirklich bewusst in den Tag zu starten, trinke nach dem Aufstehen ein Glas heißes Wasser mit einem Spritzer Zitrone und begrüße den neuen Tag mit einem Sonnengruß draußen in der Natur auf einer taufrischen naturbelassenen Wiese, bevor du dich in deiner Morgenpraxis, bestehend aus Yoga, Meditation und Anrufung der Ahninnen, mit deiner inneren Göttin verbindest.

Es nervt!

Wie du in 4 Schritten lernst, dich zu verwirklichen?!

Ob Durchstarter, Spirituelle, Karrieristen, Selbstverwirklicher, Coachees für Transformationsprozesse oder Mentoren für Onlinewachstum, ich höre täglich mehrfach, was wir tun können, um noch besser, erfolgreicher, erfüllter, glücklicher zu werden. Wie du in 4 Schritten deine Selbstzweifel auflöst, in drei Wochen lernst, deine erste Million umzusetzen, mit diesem Workbook die richtigen Kunden anziehst, mit jenem Webinar skalierbare Produkte entwickelst und mit diesem kostenlosen Kurs ein erfolgreiches Online-Business aufbaust.

Nach Feierabend geht die Selbstoptimierung weiter. Falls du zu den bedauernswerten Menschen gehörst, die heute noch einen Feierabend brauchen, die weiterhin von „Nine-to-five“ denken und arbeiten und nicht erkannt haben, dass Arbeit, die Freude macht, ja eigentlich gar keine Arbeit ist. Es kann so erfüllend sein, abends noch einen kleinen Beitrag zu schreiben, ein Kundengespräch zu führen, ein Tutorial oder Webinar anzuschauen oder die eigene Webseite nach den neuesten SEO Standards zu optimieren.

Es nervt!

 Nur mit Personal-Trainer bist du gesund und glücklich?!

Aber zunächst hetzen wir zum Super-Super-Biomarkt, auf der Suche nach den Zutaten für unsere glutenfreie und vegane Rotkohl-Maronen-Roulade mit Cranberry-Sauce und Polenta-Sternen. Zwischendurch bringen wir unsere Kinder zum Bewegungskurs ins Kinderland, treffen uns mit anderen Müttern im Musikgarten für Kinder ab 3 Monaten oder lassen uns ganzheitlich begleiten in all den wichtigen Erziehungsfragen.

Muckibude war gestern, heute reicht das natürlich nicht mehr aus, um wirklich einen fitten Körper zu haben. Smart Watches, Fitness-Tracker, integrierte Herzfrequenzmesser erinnern dich daran, zu trinken, dich zu bewegen und auf deinen Schlaf zu achten. Und wer auf sich zählt, hat einen Personal Trainer, der einen auch im Alltag per App begleitet.

Es nervt!

Abnehmen im Schlaf – ein Leben in mehr Fülle?!

Am Abend treffen wir uns in der Klangschalenoase bei Therapeutin Amala, um die Harmonie zwischen Körper und Seele wieder in die Balance zu bringen. Oder wir erfüllen uns einen Kindheitstraum und lernen Ukulele oder Suaheli oder Kumihimo-Flechten von Kordeln.

Vor dem Schlafengehen gönnen wir uns noch einen Winter-Chai-Kombucha, der uns quasi im Schlaf beim Abnehmen hilft. Auf dem Nachtisch liegt meine neueste Bibel: Wie du ab sofort ein glückliches Leben führst – fünf Methoden zu mehr Erfüllung.

Dieser Selbstoptimierungswahn nervt ohne Ende!

Selbstoptimierung lässt dich nie ankommen und dich nie genug sein

Selbstoptimierung liegt absolut im Trend. Menschen wollen sich weiterentwickeln, sich verbessern, wachsen. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Wandel ist Leben. Doch kann dieses schneller, höher, weiter auch destruktive Folgen haben. Wenn wir, mit diesem ständigen Mehrwollen und besser sein, immer neue Ziele verfolgen, finden wir dabei nie ein Ende. Mit diesem Denken ist es nie genug, sind wir selbst nie genug. Wir folgen dem Glaubenssatz, wir müssten noch dieses oder jenes unbedingt tun, lesen, lernen, trainieren.  Erst dann seien wir endlich angekommen.

Wir merken dabei kaum, dass der Stress stetig zunimmt. Frag dich selbst:

  • Wie viel Zeit verbringst du mit deinen Liebsten wirklich?
  • Wie lange ist es her, dass du gemalt, gebastelt oder gestaltet hast, ohne eine Absicht zu verfolgen?
  • Wann hast du das letzte Mal auf einer Schaukel gesessen und in den Himmel geschaut?
  • Wann den Geschichten eines alten Menschen empathisch zugehört?
  • Wie lange ist es her, dass du wirklich voll aufrichtiger Freude und lauthals gelacht hast?
  • Wann hat dich die Begegnung mit einem fremden Menschen wirklich gerührt?
  • Wann hast du das letzte Mal in Ruhe gegessen, ohne dass mindestens auf dein Handy schaust, das Radio läuft oder du nebenbei die Zeitung liest?
  • Wann hast du dich von deiner Arbeit, deinem täglichen Tun das letzte Mal beseelen lassen?

Wir sehen es im Spiegel der Gesellschaft: psychische Erkrankungen nehmen zu und Menschen bleiben unzufrieden auf der Suche nach mehr Fülle, Leichtigkeit und Sinn. Tiefe Begegnungen, die Verbindung zu uns selbst und zur Natur bleiben auf der Stecke. Stattdessen konsumieren wir und bleiben doch innerlich arm und leer.

Du bist gut genug!

Statt uns mit Druck immer weiterzutreiben, ständig den Satz im Kopf: „Ich müsste eigentlich mal …“, sollten wir einfach mal NICHTS TUN. Den Knopf auf RESET drücken. Raus aus dieser Falle des Selbstoptimierungswahns. Den Blick von Außen nach Innen lenken. Stille aushalten, der Leere Raum geben, Langeweile spüren und bewusst wahrnehmen, was ist.

Warum nervt mich das eigentlich?

Wenn uns etwas so sehr auf die Nerven geht, dann hat das viel mit uns selbst zu tun. Ich selbst tappe ebenso in diese Falle von mehr, schöner, schneller, erfolgreicher. Aktuell bin ich in fünf verschiedenen Kursen und Programmen. Wie dein inneres Kind eine Heimat findet, du deine Stimme und Sitzhaltung verbesserst, endlich zuckerfrei wirst, klick starke Blogartikel schreibst und zur großartigen Mentorin für die Welt wirst. SUPER! Außerdem wartet noch ein Stapel Fachbücher darauf, endlich gelesen zu werden. Und klar, täglich posten ist ja Pflicht. Abends noch schnell einen Workshop online mitnehmen, neben dem Sportprogramm jeden Tag Übungen mit dem Hullahup-Reifen machen und dabei Podcast hören … die Liste ist noch nicht zu Ende, aber du ahnst bereits, wo das hinführt.

Diese Tage habe ich selbst auf RESET gedrückt: Ich klappte mitten am Tag meinen Laptop zu, ließ die Arbeit liegen, ging in die Badewanne, ruhte mich danach aus, gönnte mir im Anschluss einen ausgiebigen Waldspaziergang und bereitete mir danach eine leckere Mahlzeit zu, mit Gemüse aus meiner Biokiste.

Zum Abschluss des Tages schrieb ich all die Dinge auf, von denen ich dachte, ich müsse sie tun. Mit einem roten Stift strich ich dann alles, was nicht wirklich wichtig war durch und ergänzte Dinge, die mir guttaten.

In der darauf folgenden Nacht schlief ich endlich mal wieder durch.

Das war interessant?
Diese Beiträge könnten dir auch gefallen
Wie du 2024 mit mir arbeiten kannst

Wie du 2024 mit mir arbeiten kannst

In diesem Jahr wird sich einiges ändern. Inhaltlich wird mein Arbeitsschwerpunkt auf PR und Text liegen. Ich begleite soziale Unternehmen vorrangig beim Aufbau einer starken Arbeitgebermarke. Pflegeeinrichtungen, Kitas und Einrichtungen der Jugendhilfe fehlen die...

mehr lesen
Ja, ich will! Newsletter 2 Mal im Monat

Impulse, Neuigkeiten, Persönliches über Werte, Emotionen, persönliche Entwicklung mit einer Prise "Zukunft ist weiblich".

6 Kommentare
  1. Tanja

    Fantastisch!

    Danke für diesen absolut genialen Beitrag…

    Du sprichst mir aus der Seele.

    Deswegen lege ich jetzt das Handy weg nachdem ich diesen Artikel geteilt habe und setze mich einfach mal auf die Couch ????

    Antworten
    • Michaela

      Ach, wie schön! Danke für dein Feedback und fürs Teilen. ❤ Auch ich möchte mir unbedingt einen Anker setzen und wann immer ich in die Falle tappe, einfach mal RESET. Einfach mal nix tun, so so wohltuend. Liebe Grüße Michaela

      Antworten
  2. Nora

    Super angeregt und ich bin sicher da hat sich fast jede Frau ertappt!
    Frauen waren schon immer so!
    Aber mit der online Welt und den Millionen Möglichkeiten ist es noch krasser geworden/ dieser Marathon von irgendwie mitzuhalten. Und wie du sagst: höher, weiter, schneller!

    Ich bin auch so müde davon geworden und übe mich jetzt immer öfter darin ohne Handy loszugehen und die Wahrnehmungen meiner selbst und der Umwelt wieder zu spüren. Anhand dessen wird schwer dies mir immer wieder fällt, sehe ich welches Ausmaß das schon genommen hat.

    Danke für das erinnern wir unnormal das eigentlich ist!

    Antworten
    • Michaela

      Danke, liebe Nora. Ja, so geht es mir auch. Seit wir online unterwegs sind, wird diese Marktgeschreie mehr. Ich habe in den letzten Wochen die Natur im Alltag wieder entdeckt. Immer wenn der Kopf raucht, ich feststecke oder genervt, verwirrt bin, gehe ich raus und versuche alles zu so im Wald zu entdecken, als sähe ich es zum ersten Mal. Dazu gehört auch mal staunend vor einem frischen Maulwurfhügel zu verweilen. Ich kann dich nur bekräftigen und mich auch nochmal: Selbstfürsorge ist überaus wichtig. LG Michaela

      Antworten
  3. Marion Ketteler

    Danke für deinen Blopost und deine Haltung! Dieses “Selbstoptimieren” geht mir auch gerhörig auf den Geist. Nicht nur, dass es ja unmöglich eine one-fits-all Lösung geben kann. Es wird zudem noch suggeriert, dass man immer etwas nicht, noch nicht oder nicht gut genug kann. Wer bestimmt die Kriterien für das “gut”? Und was würde passieren, wenn wir all das tun würden? Wären wir dann noch wir?
    Schön, dass du dem Spuk ein Ende gemacht hast und wirklich Selbstfürsorge betreibst. Dafür möchte ich dir ein Kompliment machen. Und die Wanne und der Spaziergang waren sicherlich besser für dich als der nächste Step irgendeines Kurses. Pass gut auf dich auf!

    Antworten
    • Michaela

      Danke, liebe Marion, für deine Bekräftigung! Ich glaube, wir müssen uns selbst immer wieder an die eigene Nase fassen und heraustreten aus all dem Geschreie oder zumindest in die Reflexionspause gehen mit der Frage, was ist wirklich wichtig!

      Antworten
Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social Media Links

Michaela Arlinghaus
Bloggen – meine neue Leidenschaft

In diesem Blog findest du wöchentlich neue Themen aus meinem beruflichen Alltag.

Newsletter

Erhalte regelmäßig Impulse, Neuigkeiten und Persönliches!
Ich sende keinen Spam! Erfahre mehr in meiner Datenschutzerklärung.