Wenn ich annehme, was ich nicht ändern kann, erspare ich mir Leid, Schmerz und Frust. Wie kann das gehen? Das Konzept der radikalen Akzeptanz ist nicht nur in der Psychotherapie ein bewährter Ansatz, sondern ebenso hilfreich in persönlichen Veränderungsprozessen. Statt zu verharren in destruktiven Denkschleifen, emotionalen Blockaden und stillen Erwartungen, schaffe ich mit der Akzeptanz dessen, wie es ist, überhaupt erst die Grundlage für nachhaltige Entwicklung. Erst die Akzeptanz bringt mich zurück zu meiner Kraft, meinen Ressourcen, meiner Kreativität und meiner Lösungs- und Handlungskompetenz.
Annehmen, was ist, um dann frei zu sein, zu tun, was ich wirklich will.
In diesem Blogbeitrag schreibe ich darüber, was radikale Akzeptanz bedeutet, woran wir erkennen, dass wir die Realität leugnen und in welchen Situationen dieser Ansatz hilfreich ist und wann nicht. Außerdem begründe ich, warum radikale Akzeptanz der Wendepunkt in deiner persönlichen Entwicklung ist.
Was ist radikale Akzeptanz
Die radikale Akzeptanz ist ein anerkanntes Konzept aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie, die sich ursprünglich mit der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen befasst. Das Konzept ist ebenso wertvoll für Menschen, die sich persönlich weiterentwickeln, Verhalten verändern oder mit schwierigen Lebensumständen und emotionalen Mustern umgehen möchten. Zudem findet sich dieser Ansatz in der Achtsamkeitspraxis und in einigen spirituellen Richtungen.
Vor der Handlung steht die Akzeptanz
Radikale Akzeptanz bedeutet die bedingungslose und vollständige Annahme der Situation, ohne etwas daran verändern, verdrängen oder beeinflussen zu wollen. Akzeptieren, was ist, statt sich zu wehren, auszuweichen, abzulenken oder zu leugnen. Dabei geht es keineswegs darum, alles hinzunehmen, für gut zu befinden und nicht ins Handeln zu kommen. Vielmehr gilt es zu akzeptieren, dass das, was ich mir wünsche, gegenwärtig nicht die Realität ist. Mit der radikalen Akzeptanz öffne ich mich für meine Gefühle wie Wut, Scham und Trauer und den Schmerz dahinter. Ich komme wieder in Verbindung mit meiner Kraft, meinen Kompetenzen und Ressourcen. Handlungsenergien und -impulse werden frei und versetzen mich in die Lage, Lösungswege zu suchen und zu tun, was ich wirklich will.
In welchen Situationen ist radikale Akzeptanz hilfreich und wo sind Grenzen?
Wir haben ja manchmal den Eindruck, dass wir in bestimmten Situationen gar nichts ändern können. Dass andere bestimmten, mehr Macht haben, wir ausgeliefert sind oder das Wetter nicht mitspielt. Wir glauben, dass Ereignisse einen Einfluss auf unser Leben haben, ohne, dass wir was daran ändern können. Wir jammern, beschweren uns, beschuldigen, zetern und fluchen. Die radikale Akzeptanz ist in vielen Situationen hilfreich und führt uns aus dieser Opferhaltung heraus.
Einige Beispiele
- Wir sind konfrontiert mit einem Schicksalsschlag, dem Tod eines geliebten Menschen, einer bedrohlichen Krankheit oder dem schmerzhaften Ende einer langen Beziehung.
- Wir bleiben in einem aufreibenden und stressigen Job, der uns unzufrieden und auf Dauer krank macht. Wir wissen, wir sollten daran etwas ändern, haben aber Angst vor einer ungewissen Zukunft.
- Wir verharren in einer langweiligen Ehe, weil wir finanziell abhängig, die Kinder noch klein sind oder der*die Partner*in krank ist. Stattdessen funktionieren wir und haben schon lange aufgehört zu fragen, was wir uns selbst wünschen.
- Wir richten uns ein in einem Leben voller Gewohnheiten und Routinen. Die immergleichen Urlaube und Unternehmungen sowie Treffen im Freundeskreis machen unseren Alltag einfacher und vorhersehbar. Doch so langsam sickert es in unser Bewusstsein, dass wir uns innerlich leer fühlen, weil uns etwas fehlt
- Wir sind nach einer Trennung alleinstehend und müssen uns finanziell sehr einschränken. So vielen, was nicht mehr möglich scheint. Und doch möchten wir unsere Träume und Wünsche nicht ganz entlassen. “Wenn ich doch wieder eine neue Partnerschaft hätte …”
- Wir leiden unter emotionalen Aktivierungen, was immer wieder zu innerem Stress, sozialer Isolation oder in Angstzustände führt.
In all diesen Lebensbereichen ist Entwicklung und Veränderung möglich. Radikale Akzeptanz ist der erste Schritt, um zu erforschen, was du wirklich willst und wie das gehen könnte.
Grenzen, die du achten solltest
Es gibt allerdings Situationen, in denen dieses Konzept nicht angebracht ist. Bei jeder Art von Missbrauch, Gewalt oder Gefahr sind Schutz und Sicherheit vorrangig wichtig. Hier ist sofortiges Handeln notwendig. Da geht es keinesfalls darum, hinzunehmen, was ist. Außerdem ist es nicht angebracht, allein mit diesem Konzept zu arbeiten, wenn du in akuten psychischen Zuständen steckst. Es könnte dich so überfordern, dass sich dein Erleben und deine Situation verschlimmert. Frage dich nach deiner Übungspraxis, ob du dich gut fühlst, leichter, entspannter. Wenn das nicht der Fall ist, suche dir Unterstützung und Begleitung.
Anzeichen für die Schwierigkeit, die Realität zu akzeptieren
In Veränderungsprozessen ist Widerstand eine ganz natürliche und wichtige Reaktion. Widerstand bringt dich an die Grenze deiner Komfortzone. Du hast Befürchtungen, Bedenken, Zweifel und Ängste. Es ist wichtig, dieser Energie mehr Raum zu geben, in den inneren Dialog zu treten und Gefühle fließen zu lassen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass du zurückfällst in die Ablehnung, darin verharrst und keinen Schritt weiterkommst. (Darf`s mit etwas Humor sein? Hier liest du meine 5 ultimativen Tipps, wie du auf jeden Fall jede Veränderung blockierst.)
Hier eine Liste mit Anzeichen für Gedanken, an denen du bemerken kannst, dass du der Realität ausweichst
- Er/sie sollten sich anders verhalten, ist schuld an meinem Unglück, verbunden mit stillen Erwartungen an dein Gegenüber
- Ich sollte anders sein, fröhlicher, dünner, klüger, mutiger, …
- Gesellschaft, Politik, die Welt sollten anders sein, friedlicher, gerechter, sozialer, …
- Warum nur passiert mir das immer? Nie bekomme ich die Anerkennung von meinem Chef, meinen Eltern, …
- Die Situation/ er oder sie ist/sind furchtbar, schrecklich, schlimm, …
- Etwas Schlimmes wird passieren, ganz sicher; ich sollte lieber nicht …
- Ich/die Situation/mein*e Partner’in sind leider so, das wird sich nie ändern und damit muss ich mich abfinden
- Ich werde das nie bewältigen, überwinden, schaffen, …
Wie du dir Klarheit über deine Veränderungsthemen verschaffen kannst und wie dein innerer Wandel gelingen kann, du gut für dich sorgst, darüber schreibe ich in einem Blogbeitrag.
Von der rationalen Einsicht zur emotionalen Akzeptanz
Ein Veränderungsprozess verläuft nach verschiedenen Phasen. Nach dem Schock mobilisieren wir zunächst all unsere Kräfte, um uns gegen eine anstehende Veränderung zu wehren. Im Sinne von “Das wollen wir doch mal sehen.” sind wir im Widerstand und nicht offen für Entwicklung. Wir beharren darauf, dass die Welt genauso zu sein hat, wie wir denken.
Im zeitlichen Verlauf sehen wir zwar immer mehr ein, dass sich etwas ändern muss, damit es besser wird. Diese Einsicht geschieht allerdings rational in unserm Kopf. Dieses Etwas, ist noch sehr weit weg von uns selbst. Wir sind noch nicht bereit, die Verantwortung für uns zu übernehmen, stecken fest in der Opferrolle. Typische Haltung in dieser Phase sind die “Ja, aber-Schleifen”: “Ich würde mich ja gern verändern, aber zunächst müsste erst dieses oder jenes passieren. Mein Partner sollte anders mit mir umgehen, ich bräuchte erst noch eine Ausbildung, mehr Geld oder müsste erst mal abnehmen, bevor …” Manchmal probieren wir schnelle ad-hoc-Lösungen aus, die uns das Problem vom Hals schaffen, kaufen uns einen Ratgeber, machen eifrig unsere Achtsamkeitsübungen oder melden uns beim Yogakurs an. Das sind keine schlechten Ideen, in dieser Phase allerdings nicht nachhaltig. Spätestens, wenn wir diese Bemühungen nach kurzer Zeit wieder aufgeben und uns stattdessen wieder mit den üblichen Kompensationsstrategien ablenken, wird klar: Da fehlt noch was. In dieser Phase ist es wichtig nach den Ursachen für den Widerstand zu forschen: Welchen Nutzen hat mein Widerstand, wovor möchte er mich bewahren, beschützen?
Tiefpunkt in deiner Veränderung und gleichzeitig Wendepunkt deiner persönlichen Entwicklung
Was fehlt, ist die emotionale Akzeptanz, dass wir selbst uns verändern müssen, damit es besser wird. Das Gefühl von Frust und Hilflosigkeit weicht der Trauer. Ich muss mich davon verabschieden, dass meine Annahme, wie die Welt zu sein hat, nicht die Realität ist. Das ist der Tiefpunkt innerhalb des Veränderungsprozesses. Meine bisherigen Strategien und Überzeugungen greifen nicht mehr und ich weiß (noch) nicht, wie ich da wieder herauskomme und wohin es mich führen wird. Ich zweifle an mir und meinen Kompetenzen, vergleiche mich mit anderen, verliere mich in Grübeleien. Ein Teufelskreis aus Angst, Hilflosigkeit, Resignation verstärkt die Unfähigkeit zu handeln. In dieser Phase ist es wichtig, die Trauer zuzulassen, deine bisherigen Verhaltensweisen zu würdigen. Es gibt immer einen Grund, warum wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten haben. Meist diente es dem Schutz oder der Sicherheit. Nun frage dich, was will ich loslassen und welche Ressourcen und Strategien dienen mir auch in Zukunft?
Das ist der Moment, in dem ich die Diskrepanz wahrnehmen kann zwischen meinen Wünschen und der Realität, wie sie jetzt ist. Das Konzept der radikalen Akzeptanz setzt genau an diesem (Wende-) Punkt an. Indem ich betrachte und annehme, was ist, lege ich überhaupt erst die Basis für meine persönliche Entwicklung. Radikale Akzeptanz stärkt deine Selbstwirksamkeit und macht dich wieder zur Gestalterin deines Lebens. Warum das so ist, begründe ich nun.
#Grund1: Du vertiefst deine Selbstreflexion
Wenn ich dem Widerstand Raum gebe, vertiefe ich die Selbstreflexion. Mir wird bewusst, wie ich auf bestimmte Menschen und Situationen reagiere und was mich emotional aktiviert. Indem ich akzeptiere und annehme, was ist, erkenne und spüre ich meine Gefühle hinter meinen Glaubenssätzen, Verhaltensmustern, Annahmen, Erwartungen, Vorwürfen. Wir verstehen nicht nur uns selbst besser, sondern sind ebenso in der Lage, mit Abstand auf den anderen zu schauen, seine*ihre Perspektive einzunehmen, Mitgefühl zu spüren. Wie du deine emotionale Aktivierung in Bedürfnisse und Gefühle transformierst, liest du in diesem Blogbeitrag.
Tipp: Dem Widerstand Raum geben
Nimm dir eine halbe Stunde ungestörte Zeit. Verstärke, überziehe, übertreibe deinen Widerstand. Nutze deinen Körper, komm in Bewegung, stampfe, trete aus, boxe in die Luft. Nimm deine Stimme dazu, töne, brülle. Und dann setze dich an einen ruhigen Platz, atme, werde ruhiger: Was ist jetzt da? Was ist wirklich wichtig?
#Grund 2: Du hast (wieder) Zugang zu deinen Ressourcen
Wenn ich immer nur betrachte, wie es sein sollte, müsste, könnte, bleibe ich im Frust und in meinen negativen Annahmen über mich und die Welt stecken. Der innere Blick geht in die Ferne, hin zu scheinbar unerreichbaren Zielen und Wünschen. Beispiel: Du würdest ja gern allein eine Radreise mit dem Zelt unternehmen. Aber du hast ja kein richtiges Fahrrad, das Zelt ist viel zu groß, dein Equipment zu schwer und überhaupt, hast du kein Geld, um in teuren Hotels zu übernachten. Und je mehr du nachdenkst, desto mehr Einwände fallen dir ein. In diesem Gedankenkarussell werden wir nie einen einzigen Schritt unternehmen können. Erst wenn ich mir erlaube, die Realität anzunehmen, wie sie ist, wird der Blick auf das, was ich kann, wieder klarer. Statt im Außen nach Lösungen zu suchen, Verantwortung abzuladen, trete ich wieder in Verbindung mit mir und meinen Ressourcen. Wir fokussieren uns nicht mehr auf das, was scheinbar nicht geht, was uns fehlt, sondern auf das, was wir haben und was wir können.
Tipp: Zugang zu deinen Ressourcen
Sage bewusst STOP! Schreibe auf, wie du schon einmal ähnliche Situationen bewältigt hast. Erinnere dich, was du getan, gesagt, wie du dich verhalten hast? Was hat dir schon mal geholfen? Welche Stärken und Talente hast du dabei eingesetzt? Auf welche Eigenschaften kannst du dich verlassen? In welchen Momenten bist du über dich hinausgewaschsen?
Finde für deine Einwände mindestens 10 Lösungsideen. Die dürfen witzig, außergewöhnlich und ungewohnt sein: Du hast kein richtiges Fahrrad? Fahre mit dem unrichtigen Rad, leihe dir eins von Fritz, der mehrere im Keller hat; übernachte in Pensionen, biete Gastgebern deine Hilfe an für Kost und Logis, campe wild, nutze Couchsurfing
#Grund 3: Du bringst mit emotionaler Klarheit deine Gefühle (wieder) zum Fließen
Hinter unserem Widerstand verbergen sich emotionale Botschaften. Wir haben Angst, sind unsicher, mutlos, hilflos und befürchten, dass wir das Neue, die Veränderung, nicht bewältigen oder scheitern. Dadurch bekräftigen wir immerfort alte Glaubensmuster. Radikale Akzeptanz bedeutet, dass wir diese Gefühle wieder zulassen und annehmen. Wir nehmen ebenso die Diskrepanz wahr, zwischen dem, was wir uns wünschen und der Realität. Wir öffnen uns für den Schmerz, der damit verbunden ist, Gefühle von Trauer oder Scham tauchen auf. “Ja, ich habe Angst, fühle Traurigkeit oder schäme mich.” Wie zeigen sich diese Gefühle, wo im Körper sind sie spürbar, was würdest du am liebsten tun? Ähnlich wie beim Thema Widerstand beschrieben, ist es hier wichtig, dem Gefühl, mit deinem Atem, einer Bewegung, einem Ton mehr Raum zu geben. Und dann lass es fließen. Ein neuer Moment, ein neues Gefühl taucht auf. Gefühle sind reine Energie.
Tipp: Ich bin nicht mein Gefühl
Statt zu äußern, ich bin ängstlich, ist es hilfreicher zu sagen: Ein Teil in mir ist ängstlich. So verhinderst du, dass du dich vollkommen mit deiner Angst identifizierst, als seiest du nur diese Angst. Wenn “nur” ein Teil von dir ängstlich ist, dann lässt dies Raum für viele andere Gefühle und somit alternativen Denk- und Handlungsmöglichkeiten.
#Grund 4: Schöpferkraft – du übernimmst Verantwortung und machst dich (wieder) zur Gestalterin deines Lebens
Je mehr wir uns auf Ereignisse in unserem Leben konzentrieren, auf die wir keinen Einfluss haben, desto mehr sehen wir uns in der Rolle des Opfers. Wir haben immer weniger den Eindruck, dass wir etwas tun können, das wiederum verstärkt unsere Ohnmacht und Resignation. Statt zu handeln, die Verantwortung zu übernehmen, verharren wir in Passivität.
Wenn wir allerdings davon überzeugt sind, dass wir Einfluss nehmen können auf Situationen und unser Leben, dann vergrößern wir unseren Gestaltungsrahmen und Handlungsspielraum. Das macht uns flexibel, zeigt Ressourcen und stärkt unsere Selbstwirksamkeit. Es ist ein sich selbst verstärkender Selbstermächtigungs-Prozess: Je mehr ich mich darauf konzentriere, dass ich etwas tun kann, desto aktiver gestalte ich mein Leben, desto mehr Möglichkeiten sehe ich und desto größer wird mein Handlungsfeld. Radikale Akzeptanz bedeutet, anzunehmen, was ist und was ich nicht ändern kann und dann frei zu sein, wirklich zu tun, was ich will. Ich schreibe meine Geschichte neu.
Tipp: Ist das wirklich wahr?
Betrachte eine Situation, in der du reagierst mit der Ja, aber-Schleife: Ich würde ja gern in den Bergen wandern gehen, aber dafür bin ich schon zu alt. Ist das wirklich wahr? Will ich so denken? Wer bin ich, wenn ich so denke? Hilft es mir weiter, bringt es mich meinen Wünschen näher. Gibt es Energie oder Freude? Was könnte ich noch denken. Schreibe alles auf, was dir in den Sinn kommt.
#Grund 5: Motivierende Horizonte bringen deine Handlungsenergie in Schwung
Wenn ich annehme, was ist, wieder Zugang zu meinen Ressourcen habe, komme ich raus aus der Starre des Verharrens und des Stresses. Ich stärke mit einem motivierenden Horizont vor allem meine Fähigkeit zu handeln. Ein motivierender Horizont dient mir dabei als Leitstern für mein Vorhaben, meine Wünsche. Ich konzentriere mich darauf, wo die Freude, die positive Energie und die Kraft liegt. Mit der radikalen Akzeptanz löse ich mich von der Vorstellung, wie es sein müsste, könnte, sollte. Ich öffne mich für den eigentlichen Prozess der Veränderung und damit für unzählige Möglichkeiten und Ideen. Ich stelle mir konkret vor, wie es ist, wenn ich mir meinen Traum erfüllt habe. Wir aktivieren positive Gefühle, verknüpfen Denken, Fühlen und Verhalten miteinander, indem wir uns in wünschenswerte Zustände hineinversetzen und ausrichten. Dieses Visualisieren verschafft mir Orientierung über einzelne Schritte und bringt mich vor allem ins Handeln. Indem wir jetzt denken, fühlen und handeln, als ob das Neue in unserem Leben bereits Realität ist, erschaffen wir die Basis dafür, dass dieses Neue wahr werden wird.
Tipp: Entwickle motivierende Horizonte
Beispielsweise sehne ich mich danach, für einige Monate in einem anderen Land zu leben und zu arbeiten. Erschaffe diesen Wunsch vor deinem geistigen Auge: Wo werde ich wohnen, wie in den Tag starten, wie warm ist es, wie riecht die Luft? Wie ist es durch die Gassen zu schlendern oder am Meer einen Kaffee zu trinken? Wie bewege ich mich, was fühle ich? Öffne alle Sinne. Nach der Übung schreibe auf, was du jetzt, heute oder morgen tun könntest, um diesem Wunsch näher zu kommen.
#Grund 6: Du reduzierst deinen Stress und etablierst Gelassenheit im Alltag
Wenn wir über lange Zeit Leid und Schmerz erleben, erhöht das unseren Stress und macht uns auf Dauer krank. Wir konzentrieren uns mehr und mehr darauf, was nicht funktioniert, sind misstrauisch und erwarten häufig ein Scheitern unserer Bemühungen. Wir können aus diesem Teufelskreis aussteigen, indem wir radikale Akzeptanz im Alltag einüben, bei Themen, die weniger belastend sind als das Scheitern einer Beziehung oder der Verlust des Arbeitsplatzes.
Der erste Schritt und für mich die Basis ist das Annehmen aller Gefühle. Sich regelmäßig Zeit für sich zu nehmen, um zu fragen, was fühle ich zu dieser Situation, wo im Körper spüre ich es, wie kann ich diesem Gefühl mehr Raum geben und es dann loslassen. Wenn wir das in unserem Alltag integrieren, dann fällt uns das Reflektieren, der Perspektivwechsel und das Handeln auch bei schwierigeren Situationen sehr viel leichter. Frage dich im Anschluss der Fühl-Übung immer wieder: Was brauche ich in dieser Situation, wonach sehnt es mich und was kann ich als ersten kleinen Schritt in diese Richtung tun?
Wenn wir die Fähigkeit stärken anzunehmen, was ist, stärken wir unsere Resilienz und unsere emotionale Stabilität. Außerdem lernen wir, dass wir nicht abhängig sind, von dem, was wir denken und fühlen, sondern jederzeit unsere Gedanken und Gefühle ändern können. Das erweitert unsere Handlungsmöglichkeiten.
Tipp: Ändere deine Gefühle und dein Denken
Stell dir vor, du musst mit dem Rad fahren und es regnet. Du verhältst dich folgendermaßen: Du ärgerst dich, fluchst, schimpfst, wirst nass, strampelst verbissen durch den Regen und kommst durchnässt im Büro an. Dein*e Kolleg*in sagt dir freundlich “Guten Morgen” und lächelt dich an. Wie reagierst du? Wenn ich nun 10 Menschen fragen würde, würden die Reaktionen und das Verhalten sehr wahrscheinlich recht unterschiedlich ausfallen. Und genau darin liegt die Lösungsidee. Wie könntest du dich noch verhalten, wenn es regnet und du musst ins Büro, wie könntest du die Situation für dich erleichtern? Was könntest du noch denken und fühlen, wenn du durch den Regen fährst oder die Kolleg*in dir einen guten Morgen wünscht?
Fazit: Radikale Akzeptanz ist eine lebenslange Aufgabe und hilfreich im Alltag
Radikale Akzeptanz ist keine leichte Sache, die wir mal eben trainieren und dann ist alles gut. Es kann eine lebenslange Aufgabe sein, mit Schmerz, Verlusten und schwierige Erfahrungen umzugehen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Manchen Menschen fällt es leicht in die Übungspraxis zu gehen, zu lernen und radikale Akzeptanz zu etablieren. Für andere Menschen kann es überfordernd sein und dann ist es wichtig, sich Unterstützung zu suchen, dranzubleiben und beharrlich an der persönlichen Entwicklung festzuhalten.
Auch glauben wir mitunter, dass radikale Akzeptanz gleichbedeutend ist mit Einverstanden sein oder dass wir etwas positiv bewerten. So ist es nicht. Ich kann es als zutiefst ungerecht empfinden, dass mein Mann mich wegen einer jüngeren Frau verlassen hat. Nur, wenn wir daran festhalten, dass es anders sein sollte, dann verharren wir in der Opferhaltung. Wir vergeben uns die Chance, den eigenen Schmerz zu fühlen und einen Umgang mit der Situation zu finden.
Persönliche Entwicklung beginnt an dem Punkt, da wir (wieder) bereit sind, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen und emotional akzeptieren, dass die Realität ist, wie sie ist und nur wir selbst etwas an unserem Denken, Fühlen und Verhalten ändern können. Mag sein, dass wir in dieser Phase der Veränderung an einem Tiefpunkt angekommen sind, da alle bisherigen Strategien und Annahmen nicht mehr gelten. Aber es bedeutet auch, schlimmer wird es nicht. Dies ist der Wendepunkt in unserer persönlichen Entwicklung. Schritte für Schritt werden wir uns aus dieser Krise herausarbeiten.
Wenn wir uns (noch) nicht an die großen Veränderungs-Themen heranwagen, dann kann es mitunter einfacher sein, radikale Akzeptanz zunächst jeden Tag im Alltag einzuüben. Unterstützende Instrumente sind Dankbarkeitsrituale, Meditation, Achtsamkeitspraktiken oder Schreibübungen. Wenn du die Situation nicht annehmen kannst, dann ändere dein Denken, Fühlen, Handeln. Lass dich dabei immer von der Frage leiten: Wie kann ich mich noch fühlen, was könnte ich auch denken, wie könnte ich mich sonst noch verhalten in dieser Situation? Und: Was kann ich jetzt gerade tun, damit es mir in dieser Situation besser geht?
Liebe Michaela,
was für ein gehaltvoller und wichtiger Beitrag. Vielen Dank dafür. Wenn du bei deinen Nachforschungen auf das Thema Entwicklungstrauma stößt, fände ich auch das interessant, denn ich glaube, dass die Generation der Baby-Boomer davon relativ stark betroffen ist.
Herzliche Grüße, Korina
Liebe Korina,
ich danke dir für deine Rückmeldung. Ich forsche schon seit letztem Jahr zum Thema Trauma, insbesondere Entwicklungs- und Bindungstrauma. Die Baby-Boomer litten teils noch unter der “Schwarzen Pädagogik” und ich erkenne in mir einiges, was zu dem Thema passt. Ich finde es sehr aufschlussreich, dass sich in der heutigen Erziehung einiges ändertt. Ich erlebe geradezu ein Paradigmawechsel hin zur bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehung. Überlege mal, vor einiges Jahren gab es noch den Bestseller “Jedes Kind kann schlafen”, oder so ähnlich. Ich bin froh, dass wir das endlich in eine andere Richtung gehen und bin überrascht, was ich selbst noch für alte Denkweisen im Kopf habe. Ich lerne gerade sehr viel von meiner Tochter über Erziehung neu. Die Disziplin Trauma ist erst recht jung, allerdings im Moment etwas populär in aller Munde. Manchmal fehlt es mir an Tiefe. Ich kann dir da die Podcasts von Verena König und die Videos von Dami Charf empfehlen.
Liebe Grüße
Michaela