Ich erlebe es häufig, dass Menschen verwirrt sind oder überrascht, wenn ich Gefühle von Emotionen unterscheide. Häufig kommt das Argument, dass beide Begriffe umgangssprachlich synonym verwendet werden. Auch die Fachliteratur ist sich nicht einig, viele Autoren unterscheiden nicht zwischen Gefühle und Emotionen. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Gefühlen und Emotionen. In diesem Blogbeitrag nenne ich Beispiele aus der Fachwelt und erläutere ich dir meine ganz persönliche Sichtweise auf Gefühle und Emotionen. Außerdem begründe ich, warum ich eine Differenzierung sinnvoll finde.
Macht die Fachwelt einen Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen?
Es gibt keine einheitliche wissenschaftliche Definition oder Theorie über Emotionen. Auch die Autoren, die in Fachthemen das Thema Emotionen und Gefühle erörtern, nehmen häufig keine Unterscheidung vor. Manchmal könnte es auch ein Übersetzungsproblem sein. Der Neurowissenschaftler António Rosa Damásio beispielsweise unterscheidet Emotionen von Gefühlen, was aber nicht in allen Übersetzungen übernommen wird.
Ein Beispiel für eine Differenzierung aus neurowissenschaftlicher Sicht findet sich auf der Seite “Das Gehirn”
Emotionen sind körperliche Reaktionen auf einen äußeren Reiz. Und bei Gefühlen verarbeitet das Gehirn die Reaktionen des Körpers. Nur Emotionen, die in die Hirnrinde gelangen, werden als bewusste Gefühle wahrgenommen.
Allerdings zeigt sich dann in den Kommentaren des Artikels, wie kontrovers das Thema diskutiert wird.
Wichtige Impulsgeberin ist für mich Vivian Dittmar. In ihrer Gebrauchsanweisung beschreibt sie Gefühle als soziale Kraft, die uns beziehungsfähig machen. Emotionen sind für sie unerlöste Gefühle:
“Als Emotionen bezeichne ich akkumulierte, angestaute und unerlöste Gefühle. Dies können rein – also als Wut, Angst, Trauer, Freude und Scham – oder auch vermischt auftreten. Sogenannter emotionaler Schmerz ist auf große Mengen angestauter Emotionen zurückzuführen. Emotionen sind Gefühle, die nicht gefühlt und daher auch nicht als Kraft eingesetzt werden.” (Vivian Dittmar: Gefühle & Emotionen. Eine Gebrauchsanweisung, S. 16f)
Die Reise zu meinen Gefühlen begann vor vielen Jahren
Meine eigene Reise zu meinen Gefühlen begann bereits vor rund 30 Jahren. Anfangs beschrieb ich meinen Zustand oder Empfinden mal als Gefühl und mal als Emotionen. Am Ende interessierte mich, wie ich es schaffte, meine Gefühle zu kontrollieren und meine emotionalen Ausbrüche zu unterdrücken. Ich wollte schöne, leichte und angenehme Gefühle spüren. Alles, was mir Leid und Schmerz verursachte, hätte ich am liebsten in den Keller verbannt.
Erst viel später differenzierte ich Gefühle von Emotionen, was mir sehr viel Klarheit bescherte.
In meiner Arbeit kommt es mir heute darauf an, dass wir
- Gefühle als Kraft und Entscheidungshilfe nutzen,
- lernen, die Gefühle (wieder) zu verlebendigen,
- unsere Körperwahrnehmung schulen,
- anerkennen, dass wir emotionale Wesen sind und Gefühle eine wichtige Funktion haben
- und dass wir Gefühle und Emotionen bei uns und anderen unterscheiden lernen.
Aktuell biete ich einen kostenlosen 4-Wochen-Online-Kurs, in dem wir uns mit den Gefühlen, Emotionen und Bedürfnissen beschäftigen und ein mehr an emotionale Balance gewinnen. Der Kurs beginnt am 4.7.2022.
Gefühle als Körpersignale sichern unser soziales Überleben
Gefühle kommen unvermittelt und spontan daher. Sie sind immer präsent, mal stärker und mal schwächer, lassen uns Lebendigkeit, Kraft und Energie spüren. Jede Situation in unserem Leben ist verbunden mit einem Gefühl. Häufig ist uns dies gar nicht bewusst. Das Gehirn verknüpft alles Erleben zu einem immer größer werdenden Erfahrungsgedächtnis. Im Alltag helfen Gefühle dabei, sich zu orientieren, Situationen zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Je mehr Erfahrungen, desto differenzierter wird unser Bewertungssystem. Gefühle sind der Schlüssel zu dem, was wir brauchen und äußern, was jetzt gerade in mir vorgeht, was ich mag und was ich nicht mag.
Wichtige Funktion von Gefühlen
- Gefühle weisen mich auf das hin, was ich jetzt brauche
- Gefühle stärken meine Beziehungsfähigkeit
- Gefühle bringen mich in meine Kraft zu handeln
- Gefühle sind die Sprache des Körpers und verbinden mich mit meinem inneren Wesenskern
- Gefühle an sich sind frei von Bewertungen
- Gefühle fühlen macht uns widerstandsfähig, spontan ausgedrückt beruhigen sie uns
- Gefühle übernehmen Selbstverantwortung
Gefühle werden ausgelöst durch meine Gedanken. Ein Gefühl ist somit die Interpretation, die mein Verstand über seine Umgebung trifft und löst aus, wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten oder Stellung beziehen. Mit dem entsprechenden Gefühl bekräftigen wir unsere Position. Wenn wir beispielsweise über ein Verhalten eines anderen Menschen extrem wütend reagieren, dann geht dieser Wut eine ganz bestimmte Interpretation voran. Und das ist individuell unterschiedlich.
Wie werden aus Gefühle Emotionen
Emotionen sind für mich unterdrückte Gefühle, unterdrückte Gefühle, die sich in einem Speicher von Emotionen sammeln. Emotionaler Schmerz beispielsweise ist ein Hinweis darauf, dass sehr viele Gefühle in vergangenen Situationen nicht gefühlt und somit nicht als (Handlungs-) Kraft eingesetzt wurden. Emotionen beeinträchtigen die Harmonie von Geist und Körper. Früher oder später kehren sie als destruktive Emotionen zurück. Irgendwann macht sich der aufgestaute Druck vergangener Gefühle Luft. Wenn Gefühle verdrängt werden, speichert der Körper die Spannung in seinem Gewebe und in den Muskeln.
Wir neigen dazu, diese unangenehmen Zustände zu kompensieren, um die dahinterliegenden Gefühle nicht fühlen zu müssen. Wir drücken weg, schlucken runter, decken zu und betäuben. Manchmal führt es zu Taubheit, wir spüren immer weniger die einzelnen Gefühle selbst.
Mögliche Merkmale von Emotionen
- Wir beschuldigen, machen Vorwürfe und klagen an (auch uns selbst)
- Wir fragen nach Schuld, Recht und Unrecht
- Wir können nicht wirklich zuhören
- Wir argumentieren, diskutieren, wollen überzeugen und suchen nach Rechtfertigungen
- Wir sind angespannt, erschöpft, spüren Unwohlsein
- Wir reagieren sehr stark, manchmal nicht angemessen auf die aktuelle Situation
- Wir reagieren körperlich mit einem Gefühl von Enge in Hals, Bauch, Brust oder erhöhtem Hitze- oder Kältegefühl; die Stimme verändert sich
In meinem kostenlosen 4-Wochen-Online-Kurs wird es auch darum gehen, dass du einen Weg aus deinen emotionalen Verstrickungen findest. Der Kurs beginnt am 4.7.2022.
Fazit: Transformiere emotionalen Schmerz in kraftvolle Gefühle
Wenn wir in der Lage sind Gefühle von Emotionen zu unterscheiden, dann erkennen wir, dass Gefühle nur ein Teil der Emotionen ist. Um emotional in eine Balance zu kommen, ist es wichtig, dass ich meine Gefühle im Körper wahrnehme und einen differenzierten Ausdruck finde. Das führt dazu, dass ich Gefühle in mir wieder selbst erzeugen und steuern kann, um angemessen in Situationen zu reagieren.
Auf der anderen Seite braucht es einen achtsamen Umgang, alte emotionale Muster und Schmerzerfahrungen zu entladen. Wenn wir einen sicheren und vertrauensvollen Raum schaffen können, allein oder mit einer:m Übungspartner:in, können wir die dahinter liegende Gefühle wieder lebendig werden lassen.
Um zu mehr emotionale Balance zu kommen und im Miteinander mit anderen mehr Klarheit zu gewinnen, ist es daher sehr hilfreich, wenn du grundsätzlich Gefühle von Emotionen unterscheidest. Das schafft Bewusstsein und das ist bekanntlich der erste Schritt zur Veränderung. Mit der Zeit der Übung kann es sogar erleichternd sein, wenn du zugeben kannst, dass du in einer bestimmten Situation emotional bist. Und stell dir vor, in deiner Familie oder in deiner Partnerschaft ist es eine Regel, eine kleine Karte mit der Aufschrift „Ich bin emotional“ an den Kühlschrank zu pinnen. Das sogt nicht nur für Schmunzeln, sondern auch für Mitgefühl – für dich selbst und für den anderen.Du hast kein Bock mehr auf Anpassung, emotionale Überreaktionen, stille Erwartungen und unerfüllte Bedürfnisse? Dann komm in meinen kostenlosen 4-Wochen-Online-Kurs (4.7.2022)
Ich finde Bsp für Emotionen, aber keine Bsp. für Gefühle. Können Sie mir bitte einige nennen
Liebe Frau Hendreich,
gern kann ich einige Beispiele für Gefühle geben: Ich bin traurig, verärgert, verwirrt, wütend, erfreut. Ein Gefühl kann ich gut erkennen, wenn ich das Wort “ich bin” einsetzen kann, Z.B. der Satz: Ich fühle mich abgewiesen, da haben wir den Eindruck mit “Ich fühle” drücken wir ein Gefühl aus, es ist allerdings eine versteckte “Du”-Botschaft. Das erkennen Sie, weil der Satz: “Ich bin angewiesen” kein “richtiger” Satz ergibt. Ein erster Hinweis, dass es es sich mehr um eine Interpretation, Meinung oder um ein Vorwurf handelt, statt dass wir ein Gefühl ausdrücken. Beantwortet dies Ihre Frage?
Viele Grüße
Michaela