Anleitung: Wie du deine emotionale Aktivierung in Gefühle und Bedürfnisse transformierst

15 Feb 2023 | Gefühle

In emotionalen Konfliktsituationen neigen wir dazu, dem anderen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Wir sind wütend, gekränkt, traurig, weil der andere dieses, jenes getan oder gesagt hat. Das sind Hinweise für eine emotionale Aktivierung.

Das ist häufig der Auftakt für ein ewiges PING-PONG zwischen den Gesprächspartnern. Auf Schuldzuweisungen wehrt sich der andere und reagiert seinerseits mit Vorwürfen. Das dauert eine ganze Weile, bis eine*r der Beiden wutentbrannt oder weinend den Raum verlässt. Mindestens eine Person emotional aktiviert.

Doch damit ist es oft nicht genug. Nicht selten beginnt dann der Rückzug, das Schmollen, beleidigt sein, nicht sprechen, ausweichen, aus dem Kontakt gehen. Wir hegen und pflegen die stille Erwartung, der andere möge auf uns zukommen. Ich sei ja schließlich im Recht und der andere habe Schuld, dass es mir so schlecht geht. Wenn sie mich kennen, lieben, schätzen würde, dann würde sie auf mich zukommen, sich anders verhalten, sich entschuldigen, etwas Besonderes tun, so denken, erwarten oder wünschen wir es uns.

Wie kommen wir da wieder heraus? Mit diesem Blogbeitrag schreibe ich eine Anleitung. Erkenne, wie du dich Schritt für Schritt auf die Spur deiner Bedürfnisse und Gefühle machst, die sich hinter deiner emotionalen Aktivierung verstecken.

Schritt 1: Erkenne, dass du in einer emotionalen Aktivierung steckst

Es ist wichtig zu verstehen, wie es zu einer emotionalen Aktivierung kommt und dass sich Emotionen von Gefühlen unterscheiden. Emotionen sind verdrängte Gefühle aus der Vergangenheit. In der aktuellen Situation ist der andere mit seinen Worten, Gesten und Körpersprache Auslöser für alte Schmerzerfahrungen in uns. Die Verantwortung liegt bei uns, sich diesen nicht gelebten Gefühlen wieder zuzuwenden. Deine emotionale Kompetenz kannst du jederzeit stärken.

Lerne deine Trigger-Punkte kennen, die dich immer wieder emotional aktivieren. Manchmal sind es bestimmte Reize, die uns reagieren lassen: ein Geruch, ein Wort, eine Geste, eine Betonung, ein Satz. Das herauszufinden, ist ein intensiver Prozess. Manchmal brauchst du Begleitung darin oder eine Übungspartnerin, um den Aktivierungen auf die Spur zu kommen. Zu Beginn wirst du es kaum in der Situation bemerken. Doch mit Abstand, Reflexion und Übung werden dir diese untrüglichen Zeichen schneller bewusst. Dann gelingt es leichter, die Situation zu unterbrechen und zu denken oder zu äußern: Ich bin gerade emotional, ich muss mich erstmal sammeln. Übrigens geht es mir mit diesem Thema nicht anders als dir.

Woran erkenne ich, dass ich emotional bin?

Emotionen beschuldigen gern, machen Vorwürfe, klagen an, wollen den anderen überzeugen, diskutieren, fragen nach Schuld und suchen nach Rechtfertigung. Wir reagieren körperlich, sind erschöpft, angespannt und können nicht gut zuhören. Wir erleben die Schwere der Situation, fühlen den Schmerz und die Hoffnungslosigkeit. Wir reagieren überzogen und der Situation vielleicht nicht angemessen. Wir nehmen etwas wahr und noch bevor wir die Situation interpretieren, einordnen, bewerten können, reagieren wir, als wenn es um unser Überleben ging. Ältere Hirnregionen übernehmen das Steuer. Diese Alarmreaktion erhöht den Stress im Körper.

Schritt 2: Verlasse die Situation und sei gnädig mit dir

Gehe aus dem Raum, verlasse die Situation. Manchmal fühlen wir uns schlecht, wenn wir wie eine Drama-Queen die Türen knallen, schreien, weinen und aufgewühlt uns aufs Bett schmeißen. Wir fühlen uns schutzlos, wie ein kleines Mädchen. Kommt dir das bekannt vor? Sei gnädig mit dir. Wenn du etwas verändern möchtest, dann ist es wichtig, anzuerkennen, was ist und was sich dir gerade zeigt. Ja, ein Anteil in dir fühlt sich gerade wie ein kleines, trotziges Mädchen. Schau ihr dabei zu, schenke ihr dein Wohlwollen, deine Aufmerksamkeit. Setz dich zu ihr, lausche, wie es ihr geht, was sie braucht.

Bedenke: Dieser Rückzug führt ebenso dazu, dass sich der andere beruhigen kann. Denn, was wir in einer aufgeladenen Situation (noch) nicht bedenken (können): Deine Worte, Gesten, Körpersprache, Gefühle, Handlungen bleiben nicht ohne Wirkung bei dem anderen, lösen beim anderen etwas aus. Dein Gesprächspartner, deine Freundin, dein Kollege, dein Partner kann verwirrt, erschrocken oder selbst emotional aktiviert sein. Es kann sein, dass er seinerseits versucht seinen Selbstwert zu retten, sich zu schützen, indem er sich rechtfertigt, angreift oder sich zurückzieht.

Schritt 3: Beruhige dich und sorge für Sicherheit

Zunächst ist es wichtig, dass du dich orientierst und Sicherheit für dich wiedergewinnst. Je stärker du emotional aktiviert bist, desto schwerer fällt es, sich zu beruhigen.  Löse die Spannung, komme in Bewegung und unterstütze den Körper, damit du dich von dieser Energie entladen und entlasten kannst. Festsitzende Gefühle lockern sich dadurch. Hilfreich: Ein Lauf in der Natur, Luftboxen, Austreten, tönen, stöhnen, schreien, tanzen, zittern, Gebberish brabbeln.

In akuter emotionaler Aktivierung können folgende Strategien helfen:

  • Bewusst atmen, langsam tief ein- und ausatmen, insbesondere das Ausatmen verlängern
  • In die Körperwahrnehmung gehen, Schwerkraft spüren, die Verbindung der Füße mit dem Boden oder liegend, wie der gesamte Körper auf dem Boden aufliegt.
  • Stimme einsetzen, tönen, stöhnen, singen
  • Orientierung und Sicherheit schaffen: Wo bin ich hier, was sehe ich im Raum, wie sieht es oben/unten, rechts und links aus. Den Oberkörper und Kopf mit in diese Richtungen nehmen. Oder: ich zähle alle Dinge auf, die grün sind

Schritt 4: Reflektiere die Situation und identifiziere Auslöser deiner emotionalen Aktivierung

Vergegenwärtige dir erneut die Situation, in der du emotional aktiviert warst. Mache dir darüber Notizen.

Diese Fragen helfen dir dabei, deine Auslöser zu identifizieren:

  • Was ist geschehen? Wie hat der andere sich verhalten, was wurde gesagt, welche Körpersignale hast du wahrgenommen?
  • Mache eine Liste mit allen kritischen Auslösern
  • Wie war deine Reaktion, als der andere dieses oder jenes gesagt oder getan hat? Wie fühlte sich das im Körper an, wo hast du es gespürt?
  • Woran aus deiner Vergangenheit erinnert dich die aktuelle Situation? Wann hast du ähnliches gefühlt, ähnlich reagiert?

Schritt 5: Spüre deine Gefühle hinter deiner emotionalen Aktivierung

Über den Körper und die Bewegung bringst du nach und nach deine Gefühle wieder ins Fließen. Es ist ein wenig wie eine Reinigung. Die Gefühle hinter den Emotionen kommen zum Vorschein. Sie sind Botschafter für das, was wir brauchen. So beginnst du, Verantwortung zu übernehmen und die Auslöser von der Ursache zu trennen. Du findest wieder in die Kraft deiner Gefühle.

In Schritt 4 hast du dir Notizen gemacht, nachgedacht, und die Situation kognitiv reflektiert. Nun geht es darum, den Körper sprechen zu lassen, nachzuspüren und sich ausdrücken zu lassen.

Bedenke, dass Gefühle Energien sind, die sich von Moment zu Moment ändern. Die Forschung sagt dazu, dass Gefühle flüchtig sind und nur wenige Sekunden anhalten. Alles darüber hinaus kreieren wir mit unseren Gedanken und Dramen. Es ist ein Festhalten an alten Geschichten und verhindert, dass wir im gegenwärtigen Moment sind.

Eine kleine Übung, um Gefühle wieder fließen zu lassen

Nimm dir ausreichend Zeit, alle aufkommenden Gefühle, die genau jetzt in dir präsent sind, zu spüren. Welche Empfindung ist in diesem Moment da? Wo im Körper spürst du es? Wie drückt sich das Gefühl aus?

Nun gib diesem Gefühl mit deinem Atem mehr und mehr Raum. Lass zu, dass es stärker wird. Entspann dich in diesen Moment hinein. Lass Bewegung zu, Tränen, Töne, Stöhnen, Gähnen. Verbinde das Gefühl mit einem Ton und einer Bewegung. Entspann dich noch etwas mehr in diesen Moment hinein.

Und dann, mit der nächsten Ausatmung, lass das Gefühl los, lass es fließen.

Ein neuer Moment und ein neues Gefühl taucht auf.

Schritt 6: Entdecke deine Bedürfnisse hinter deinen Vorwürfen

Oft versuchen wir auf Umwegen etwas zu bekommen, was wir brauchen. Wir sind angepasst, freundlich, hilfsbereit und verbinden dies mit einer Hoffnung oder einer stillen Erwartung, etwas zurückzubekommen. Dankbarkeit, Zuneigung, Liebe. Meist endet dies in Frust oder Resignation.

Es ist wichtig, klar zu wissen, was unsere Bedürfnisse sind. Unsere Gefühle sind der Wegweiser und zeigen, welche Bedürfnisse erfüllt und welche unerfüllt sind. Ein Beispiel: Ich bin traurig, weil mir Kontakt wichtig ist. Hier findest du eine Liste mit Gefühlen und Bedürfnissen.

Hinter der emotionalen Aktivierung, konkret hinter den Vorwürfen, die wir anderen gegenüber machen, verstecken sich unsere Bedürfnisse. Mit der Gegenteil-Methode können wir auf einfache Weise herausfinden, was wir brauchen. 

Ein Beispiel: „Nie kann man sich auf dich verlassen. Als ich diesen wichtigen Termin hatte, bist du einfach nicht gekommen.“ – Was könnte das Gegenteil von „man kann sich nicht auf dich verlassen“ sein? Verlässlichkeit, Respekt, Wertschätzung, wahrgenommen werden. Was ist es, was du dir gewünscht hättest? Hier findest du eine Anleitung, wie du deine Bedürfnisse ermitteln und ausdrücken kannst.

Fragen, um deine Vorwürfe in Bedürfnisse zu verwandeln

  • Sammle alle Vorwürfe, die du an den anderen in der Situation gerichtet hast, tatsächlich oder gedanklich.
  • Entscheide dich für einen Vorwurf, der dich besonders gekränkt hat. Notiere diesen in der Gegenwartsform
  • Nun formuliere ihn um: Was ist das Gegenteil deines Vorwurfs? Benenne dabei ein Gefühl und das dahinterliegende Bedürfnis, das möglicherweise nicht erfüllt ist. Was genau hättest du dir gewünscht, was war dein Bedürfnis?
  • Notiere es, lass alles ruhen und mache eine Pause
  • Lese deine Notizen mit der Frage: Was will noch ergänzt werden?

Schritt 7: Kommuniziere deine Wünsche, Bitten und Erwartungen

An dieser Stelle hast du bereits sehr viel Verantwortung für deine Regulation übernommen. Du transformierst deine emotionale Aktivierung, spürst deine Gefühle und weißt, was du gebraucht hättest in der Situation. Jetzt geht es darum, dafür einzustehen. Bei all der inneren Reflexion, was ist inzwischen noch übriggeblieben, was du dem anderen mitteilen möchtest? Ist es eine Bitte, ein Wunsch, eine Erwartung?

Nicht alles aus unserem inneren Prozess müssen wir mitteilen. Manchmal kommen wir wieder in die Schleife hinein und möchten dem anderen unbedingt teilhaben lassen, wie wir uns gefühlt haben, was wir gedacht und gemeint haben. Nicht immer ist dies hilfreich.

Wenn dies für dich dennoch wichtig ist, empfehle ich dir das Zwiegespräch, beschränkt auf eine halbe Stunde. Jede*r redet 15 Minuten, darüber, was er jetzt gerade fühlt, denkt, über seine Wünsche oder wie er/sie die Beziehung erlebt. Dann wechselt ihr die Rollen. Danach wird nicht inhaltlich darüber gesprochen.

Eine große Kraft der Selbstermächtigung kannst du spüren, wenn du Verantwortung für dich übernimmst und wirklich äußerst, was du brauchst. So erlebst du dich als Subjekt und kommst aus der Opferrolle heraus. Frag dich das immer wieder im Alltag und übe dich darin, zu sagen, was deine Bedürfnisse sind.

Beispiele für bedürfnisorientierte Sprachmuster

  • Weil ich … brauche, … liebe, … gern hätte, … gern mag
  • Weil mir … ein wichtiges Anliegen ist, … eine Herzenssache ist
  • Weil ich … meine Energie, … mein Engagement einsetzen für
  • Weil ich … sehr schätze, … bevorzuge

 

 

 

 

 

 

 

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Michaela Arlinghaus
Bloggen – meine neue Leidenschaft

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